Mit der rein elektrischen Variante der Mercedes G-Klasse wird selbst der urtümliche Geländewagen fit für die Zukunft. Passt der E-Antrieb zu dem Urgestein? Testfahrt, Infos, Daten.
460 Kilometer Reichweite nach WLTP-Norm
Einstiegspreis: Knapp unter 200.000 Euro
Erster Eindruck: Extrem geländegängig
Von wegen Dinosaurier! Zwar wirkt der Mercedes-Außenposten in Graz wie der Jurassic Park der PS-Branche, denn schließlich bauen sie hier ein Auto, das sich in fast einem halben Jahrhundert zumindest dem Wesen nach kaum verändert hat und vielen als Saurier unter den SUVs gilt. Doch nur weil die mittlerweile fast 500.000 Mal verkaufte G-Klasse noch immer fast so aussieht wie beim Debüt vor 45 Jahren, ist sie nicht immun gegen den Zeitgeist.
G-Klasse Elektro für rund 200.000 Euro
Und jetzt proben sie in Graz vollends die Quadratur des Kreises – und machen ihn zum Elektroauto. Als G580 powered by EQ-Technology, so der offizielle Name, will der Saurier im Mercedes-Programm für Schätzpreise knapp unter 200.000 Euro vom Herbst 2024 an beweisen, dass er mit Strom nicht zum Aussterben verdammt ist.
Und egal ob Batterie oder Benzintank – eine G-Klasse wäre keine G-Klasse, wenn die Kunden dabei Kompromisse machen müssten, erhöht Baureihenchef Emmerich Schiller die Spannung und verspricht: Auch mit Akku-Antrieb wird der Geländewagen genauso gut fahren wie mit einem Achtzylinder – "oder vielleicht sogar besser."
Dafür hat sich Schiller über die Familienplanung aus Stuttgart hinweggesetzt. Ja, das Interieur mit den großen, integrierten Bildschirmen und dem neuesten Stand des Bediensystems MBUX riecht nach Großserie und die Batterien mit stattlichen 116 kWh stammen aus dem EQS – selbst wenn sie hier wegen kurzen Radstands halbiert und im Doppelpack installiert wurden wie bei einem Sandwich.
Jedes Rad hat einen E-Motor
Doch anders als die übrigen EQ-Modelle nutzt der elektrische G nicht einfach eine bestehende Plattform, sondern bekommt eine maßgeschneiderte Elektroarchitektur, die im unverzichtbaren Leiterrahmen integriert ist. Weil eine G-Klasse ohne Sperren keine G-Klasse ist, haben die Ingenieure dieses Konzept in die E-Zeit übertragen und jedem Rad einen eigenen, individuell zu steuernden Motor spendiert und dafür – eine weitere Unumgänglichkeit beim G – eine neue Starrachse ins Heck geschraubt.
Weil sich E-Motoren bei niedrigen Drehzahlen nicht so richtig wohlfühlen, hat Schillers Truppe ein Untersetzungs- oder in diesem Fall besser Übersetzungsgetriebe für niedrige Geschwindigkeiten eingebaut. So drehen die Motoren im Kriechgang höher, erhitzen sich langsamer und können zudem mehr Rekuperieren. Kein Wunder also, dass sich die Berg-und-Tal-Fahrt am Fuße des legendären Hausbergs Schöckl kaum auf die Reichweite des Prototypen auswirkt, und nach Stunden im Schmutz noch keine 20 Prozentpunkte des Akkustands fehlen.
590 PS: Urgewalt von drei Tonnen Stahl
Auf 460 Kilometer Normreichweite kommt der G damit, verspricht Chefingenieur Fabian Schossau, und hat dafür sogar ein wenig am Design gefeilt. Allerdings so, dass man es fast nicht sieht. Denn vom albernen LED-Grill abgesehen, den man auch abbestellen kann, hat er nur ein wenig die Motorhaube angestellt und ein paar Schlitze in die Radläufe geschnitten, durch die sich die Luft ein wenig effizienter um die 22-Zöller legt. Das bringt zwar im Windkanal ein paar Punkte an der zweiten Stelle hinter dem Komma. Aber neben Autos wie dem EQS SUV sieht die G-Klasse noch immer aus wie ein frischer Block Kernseife neben einem abgegriffenen Stück Hotelkosmetik.
Wenn man erlebt, mit welcher Urgewalt sich die gut und gerne drei Tonnen Stahl beim Kickdown dem Horizont entgegen schleudern, glaubt man sofort, dass die vier Motoren auf knapp 590 PS und auf beinahe 1200 Nm Drehmoment kommen. Ganz ohne Spektakel stiehlt der Elektro-G dem G63 deshalb die Schau, sprintet in deutlich unter fünf Sekunden auf Tempo 100 und hält immerhin bis 180 Sachen mit. Wer sein eigenes Wort noch verstehen will, fährt in einer G-Klasse ohnehin nicht schneller.
Bildergalerie: Der Mercedes EQG im Detail
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Elektro-G-Klasse souverän im Gelände
Aber Zahlen vermögen kaum auszudrücken, was man mit dem elektrischen G erleben kann. Erst recht nicht im Gelände. Vollkommen mühelos klettert der Koloss über Stock und Stein und wuchtet sich irre Steigungen hinauf. Nur, um sich gleich danach gebremst alleine von der Rekuperationsleistung der E-Maschinen wieder Hänge hinunterzustürzen.
Das alles kann die "normale" G-Klasse auch. Aber wo die dafür weithin hörbar arbeiten muss, zelebriert der EQG den Kraftakt ganz unaufgeregt und ohne Vorwarnung und nimmt dem Fahrer dabei auch noch das letzte bisschen Arbeit ab. Denn wer sich unsicher ist im Gelände, der aktiviert einfach den "Creepmode" und rollt wie mit einem Tempomat im Kriechgang durchs Abenteuer.
Die geometrischen Offroad-Eigenschaften sind dabei nicht schlechter als bei jeder anderen Variante, verspricht Baureihenchef Schiller. Deshalb hat die elektrische G-Klasse ähnliche Böschungs- und Rampenwinkel und kann sogar 15 Zentimeter tiefer waten, weil jetzt erst bei 850 Millimeter Wasserstand feuchte Füße zu befürchten sind.
Und als Schiller beim Kiesgruben-Ballett mit aller Wucht auf einen riesigen Stein stürzt, verzieht der Chef keine Miene – die Batterien sind stoßempfindlich und damit sicher untergebracht: Die G-Klasse trägt am Bauch einen fast vier Zentimeter dicken Karbon-Panzer. Es gibt sogar eine Disziplin, in der die elektrische G-Klasse der normalen überlegen ist: Weil der Akku den Schwerpunkt senkt, kann sich der elektrifizierte Saurier noch zehn Grad weiter zur Seite lehnen, sagt Schiller und steuert längs über eine Rampe. Bei bald 40 Grad garantieren nur noch die straffen Gurte, dass der Sozius dem Fahrer nicht auf den Schoss rutscht.
G-Turn: Völlig verrücktes Karussell
Wenn man denkt, jetzt hat man alles erlebt, dann hält Schiller noch einmal an, drückt einen silbernen Taster, zieht an der Wippe am Lenkrad, startet den "G-Turn" und macht die elektrische G-Klasse zum Karussell für große Kinder: Ohne Lenkeinschlag und nur mit der Kraft der gegenläufig drehenden Reifen macht die G-Klasse eine Panzerkehre und kreiselt auf der Stelle, während draußen der Schotter spritzt und eine Staubwolke aufsteigt. Im Alltag völlig sinnlos, aber spektakulär.
Im Gelände besser als je zuvor und dabei noch leichter zu handhaben. Politisch, nun ja, nicht mehr ganz so inkorrekt, und mit Funktionen wie den G-Turn der absolute Showstar: Zwar wird die G-Klasse mit Akku zum ultimativen E-SUV und hat das Zeug für die nächsten 500.000 Exemplare. Doch ist sie nicht nur ein weiteres Elektroauto in der Reihe von EQE und EQS. Schillers Team hat Wert darauf gelegt, dass der G ein G bleibt – und das bis in die Nomenklatur durchgesetzt. Statt EQG steht am Heckdeckel einfach nur G 580.
Text: Thomas Geiger