Drama „Was von der Liebe bleibt“ im Kino – Der Verdacht liegt bei den Opfern (2024)

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Von: Daniel Kothenschulte

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„Was von der Liebe bleibt“ von Kanwal Sethi ist ein erstaunliches Beziehungsdrama vor dem Hintergrund rassistischer Gewalt.

Wir sind Kanaken!“ ruft ein junges Paar mit Emphase von einem Rheindampfer. Die Kölner Morgensonne hat die frisch Verliebten bereits eingeholt, und wie es aussieht, will sie die beiden auch weiterhin begleiten. Yasemin (Seyneb Saleh), eine Kölnerin mit kurdischen Wurzeln, braucht nicht lange, um Iylas (Serkan Kana), einen türkischstämmiger Berliner, zum Mitrufen zu animieren. Das rassistische Schimpfwort, so scheint es, kann ihnen nichts anhaben. Das wenige, was man über die selbstbewusste junge Frau bislang erfahren hat, reicht, um in ihr eine geborene Optimistin zu vermuten: Sie ist Fan des 1. FC Köln.

Es ist die zweite Szene von Kanwal Sethis Filmdrama „Was von der Liebe bleibt“, die erste mit einem Mann auf einer verschneiten Parkbank bleibt vorerst ein Rätsel. Tatsächlich hat sich das Paar 15 Jahre später, als sich die Geschichte fortsetzt, erfolgreich im Leben etabliert. Die Eltern einer Tochter im Teenageralter betreiben in einem Berliner Szeneviertel ein gut gehendes Café und lieben sich noch immer leidenschaftlich. Bis Yasemin im Café der Schuss eines Unbekannten trifft, ein Anschlag scheinbar aus dem Nichts.

„Aus dem Nichts“, so hat Fatih Akin seinen Rachethriller über den einsamen Kampf einer Frau gegen eine rechtsradikale Terrorzelle genannt, hier treffen zwei andere Genres aufeinander. Eine Liebes- und Beziehungsfilm, erzählt in Rückblenden und Spuren eines typisch deutschen Polizeifilms, wie man sie selten im Kino, aber jeden Tag im Fernsehen findet. Allerdings ohne die dort so beliebten charismatischen Kommissarinnen und Kommissare.

Zu ermitteln scheinen die äußerlich korrekten, unempathischen Beamten wenig, aber im Verdächtigen sind sie nicht schlecht. Seien es mafiöse Strukturen oder ein Doppelleben der Toten als mutmaßliche PKK-Unterstützerin, sogar eine lesbische Verbindung zur besten Freundin wird vermutet, mit der es doch mal Streit gegeben habe. Als sie Tochter Senna (Amira Demirkiran) danach ausfragen wollen und der Vater empört dazwischen geht, belehren sie ihn herablassend: „Nicht jeder Kulturkreis erlaubt gleichgeschlechtliche Beziehungen“. Bereits am Todestag hat er sich einer Art Verhör unterziehen müssen und schließlich darauf bestehen müssen, dass man ihn nach Hause zur Tochter gehen ließ.

Es ist die Chronik des Verfalls einer emotionalen „Heimat“, wie der Zwischentitel der ersten, noch glücklichen Episode heißt. Bevor sie zum Anfangsbild mit dem Mann auf der Parkbank führen, in dem wir nun Iylas erkennen, wird es in seinem Inneren aussehen wie in der Wohnung nach der Hausdurchsuchung. Nichts ist mehr an seinem Platz, dafür haben sich nun sogar bei ihm Zweifel an seiner geliebten Ehefrau eingenistet. Auch die absurdesten Verdächtigungen rassistischer Polizisten bleiben nicht ohne Spuren.

Man kann Kanwal Sethi nicht vorwerfen, dass sein Film nicht die Erwartungen der beiden Genres erfüllt, die er zitiert. Er ist kein romantisches Liebesmelodram, auch wenn es in den frühen Rückblenden so scheint, als habe er es genau darauf angelegt. Noch weniger ist es ein Film über die Ordnungsutopien von Polizeiarbeit. Aber es ist auch nicht der Berliner-Schule-Film, der abseits filmischer Konventionen an einer ästhetisch eigenen Filmsprache arbeitet. Aber vielleicht liegt gerade darin seine Radikalität: Dass er eine einfache Liebesgeschichte in einer ungebrochenen Filmsprache erzählt, die zu der Unschuld ihrer Figuren passt. Und dass er ihre posthume Zerstörung erst durch die Montage erleben lässt, verschnitten mit den Szenen einer zerstörerisch irrläufigen Polizeiarbeit.

Wäre der NSU ein amerikanisches Thema, hätte er vielleicht längst eine angemessene Repräsentanz auf der Leinwand gefunden, vielleicht in einem Steven-Spielberg-Film. Fatih Akins Film „Aus dem Nichts“ ging ein gutes Stück in diese Richtung, aber er wollte diesen Platz nicht füllen und überzeugte als vielfach deutbare Fiktion. Und es gab Jan Bonnys makabre Farce aus der möglichen Geisteswelt der Täter: „Wintermärchen“. Der inflationäre Umgang mit rassistischer Wortwahl ließ uns anlässlich der Premiere 2018 in Locarno fragen, ob man sich einmal Gedanken darüber gemacht habe, wie Zuschauerinnen und Zuschauer, die diesen diskriminierten Minderheiten angehören, auf diesen Film reagieren. „Wie würden gar die Angehörigen der NSU-Opfer damit umgehen?“ Entsprechend unangenehm war dann auch die Reaktion bei der Premiere in Köln, der Stadt, wo die Nagelbombe in der Kolbstraße explodierte.

Dieser Film weckt diese Sorge nicht, im Gegenteil. Es ist einer der respektvollsten Filme über die Opfer von Rassismus, die es in den letzten Jahren gab und einer der schonungslosesten über Missstände bei der Polizei. Gerade weil er erst im Schlusstitel den Bezug zu rechtsextrem motivierten Gewalttaten herstellt, macht der die verheerende Wirkung behördlicher Blindheit sichtbar. Ja, er blendet vielleicht sogar uns ein Stück, wenn er eine Zeitlang so tut, als sei er ein einfacherer Genrefilm aus dem Fernsehen. Das ist er nicht.

Was von der Liebe bleibt. D 2023. Regie: Kanwal Sethi. 100 Min.

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